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Out of Babylon:
Kid Gringo zieht weiter

Es fühlt sich noch immer surreal an: Am 27. März 2025 ist Matthias Müller, zuletzt besser bekannt als Kid Gringo, in Uganda verstorben. Viel zu früh, mit nur 46 Jahren, hat ein kreativer – bisweilen chaotischer – Weltenbummler, welcher für viele weit mehr war als „nur“ ein DJ, Illustrator und geachteter Grafikkünstler, seine worldly Session beendet.

From Wittgensdorf to di World – The Early Days

Geboren am 13. Juli 1978 war Matthias von Anfang an ein Grenzgänger. Aufgewachsen in Wittgensdorf bei Chemnitz, verspürte er schon früh einen Drang zum Malen und Gestalten. Eine Leidenschaft, die sein Familienumfeld stets mit nötigem Freiraum und Unterstützung für seine Kreativität würdigte. Er gehörte zu jener Generation, zwischen Gen X und Millennials, welche geprägt war, von den Umbrüchen der Nachwendezeit – und doch nie um den sogenannten Blick über den Tellerrand verlegen.

Sein Stil war mindestens so eigen wie unverkennbar, seine Liste an Künstlernamen so colorful wie sein Art-Work: Kid Gringo, Dose, Loki, Kid L, Kid Logisch, Kid Lurch, Käptn Kid, Üborselektor – und das ist nur ein Auszug.

Sämtliche Namensgebungen lassen erkennen, dass Matthias im Herzen immer ein Kind geblieben war. Oft rastlos, stets auf der Suche nach dem nächsten Abenteuer.

Seine Kreativität kannte weder Pausen noch Bremse.Vor allem seinetwegen fand sich das Tag des Graffiti-Kollektivs NSK (Non Style Kings) in jenen Anfangstagen an schier jeder zweiten Hauswand der diesjährigen Kulturhauptstadt – zum absoluten Amüsement seiner Befürworter.

Selector on a Mission

Um die Jahrtausendwende herum zog es ihn schließlich nach Leipzig, wo er fortan die dort ansässige Kultur-Szene ordentlich aufmischte. Mit dem von ihm gegründeten Soundsystem „Rotzlöffels HiFi – the mentally Freybeuter“ „zerstörte“ er fortan die Dancehalls der einschlägigen Venues. Mit Heckert Empire drückte er als DJ und Gründungsmitglied schließlich flächendeckend der gesamten Republik seinen musikalischen Stempel auf.

Sein Erfolgsrezept:

 

„He played, what the people want“.

 

Matthias verstand es, Menschen zu verbinden – musikalisch, künstlerisch, menschlich. Er war zudem ein Brückenbauer zwischen Kontinenten, ein Künstler, der nie stehenblieb und dessen Neugier und Offenheit häufig ansteckend wirkten.

Im Namen seiner Kunst ging er immer wieder mit dem Kopf durch die Wand – und sobald diese nachgab, hatte er die nächste bereits im Visier.

Sein Output als Grafiker und Illustrator glich keinem Weiteren. Für das Reggae Magazin „Riddim“ steuerte er immer wieder Illustrationen bei, welche sich extremer Beliebtheit erfreuten. Auch in Dresden, wo er ebenfalls jahrelange Freundschaften pflegte, parkte er mit seinen Beiträgen u.a. im „Klebstoff Magazin“ ein weiteres Mal die Messlatte nahezu unerreichbar weit oben.

Schließlich führte ihn seine Leidenschaft für Street Art zunächst nach Brasilien, bevor er 2019 Uganda zu seiner nunmehr letzten Wirkungsregion erkor.

Baddest Muzungo

Das ostafrikanische Land wurde zu einem zweiten Lebensmittelpunkt. In Kampala baute er eine mobile Siebdruckerei auf, mit der er Jugendlichen die Möglichkeit gab, ihre Kreativität zu entfalten. Auch musikalisch blieb er überaus aktiv, als maßgeblicher Part der lokalen Spitfire Crew, innerhalb welcher er junge ugandische Musiker, wie Ratigan Era unterstützte und maßgeblich förderte.

Besonders prägend war in dieser Zeit jedoch seine Rolle als „Dubplate Master“. Er brachte das sogenannte Dubplate Prinzip nach Uganda und trug dazu bei, eine stetig wachsende Afro-Dancehall-Szene in Kampala zu etablieren.

 

Kid Gringo step weh sudden, an di place nuh feel di same. But di vibes still strong, loud an clear, ‘cause real art cyaan done!

The Legacy – Gringo lebt durch euch weiter

Die Rückführung nach Deutschland ist inzwischen erfolgt, und während die Organisation der Trauerfeier und einer Feier zu seinen Ehren läuft, bleibt der Spendenaufruf zur Unterstützung seiner Familie weiterhin offen. Doch hierbei geht um mehr als Trauer. Es geht darum, sein Vermächtnis zu bewahren und zu feiern. Es soll zeitnah ein großes Mural entstehen, welches Matthias’ Werk und Geist im öffentlichen Raum verewigt. Für die Umsetzung werden Grafiken, Fotos und Erinnerungen von Fans, Freunden und Kunstbegeisterten gesucht – jede Einsendung ist willkommen und kann über das Kontaktformular oder via Mail an contact@kid-gringo.de geschickt werden.
Aus den gesammelten Werken entsteht hier ein umfassendes Archiv.
Da es bislang kein zentrales Archiv seines Schaffens gibt, sind alle eingeladen,Werke, Audiofiles, Videos, Fotos oder auch nur Erinnerungen und Zitate einzureichen.

„Let’s build an archive together!“

So lautet der Aufruf an alle, die etwas von oder über Matthias Müller teilen möchten. Jede noch so kleine Erinnerung hilft, das Bild eines Menschen zu bewahren, der so viele inspiriert – und manchmal vielleicht auch den einen oder anderen ein ganz kleines bisschen an den Rande eines Nervenzusammenbruchs gebracht hat. Weiterhin wird mit dem eingesandten Material ein Entwurf für das Mural erstellt, welcher anschließend von engen Freunden und künstlerischen Weggefährten auf einer entsprechenden Wand umgesetzt wird. Updates dazu werden selbstverständlich geteilt! Parallel dazu ist am 19. Juni 2025 im Leipziger Salon Similde eine Pop-Up-Ausstellung geplant, bei der einige seiner Arbeiten versteigert werden sollen.

Der Erlös daraus kommt der Erhaltung seines Lebenswerkes zugute. Auch hierfür werden noch Bilder, Shirts, Sketches und Unikate gesucht – wer etwas beitragen möchte, ist herzlich eingeladen, sich zu melden.

No Fade Out!

Schlussendlich bleibt nur zu sagen: Mit Matthias Müller verliert die Szene einen ihrer hingebungsvollsten Vertreter, einen kreativen Freigeist auf der Überholspur, einen Menschen, der mit seinem Witz, seiner Fantasie und seinem unermüdlichen Herzblut bleibende Eindrücke hinterlassen hat. Sein Leben war eine wahnwitzige Mischung aus Ideen, Begegnungen und gelegentlichen Kurzschlüssen – oft bis an die Schmerzgrenze und nie in halben Zügen. Bunt, laut, manchmal einen Tick zu grell. Viele seiner Visionen bleiben nun unerfüllt, unzählige Ideen nicht umgesetzt.Lasst uns diesen Verlust nun mindestens zum Anlass nehmen, sein kreatives Erbe aufrecht zu erhalten, damit die Spuren, die er gezogen hat, so schnell keiner verwischt.

Alle, die ihn kannten, liebten und mit ihm lachten: Lasst uns sein Leben feiern, seine Kunst bewahren und dafür sorgen, dass Kid Gringo weiter gefeiert wird.

Mit aufrichtigem Beileid gegenüber seiner Familie und allen Weggefährten.